Donnerstag, 29. April 2021

 Abgehetzt laufe ich die Straße entlang. Es ist Donnerstag, kurz nach 18 Uhr und ich bin schon zu spät dran. Ein letztes Mal habe ich mich auf den Weg in unsere Wohnung gemacht, um mit dir unser Leben der letzten Jahre abzuschließen und sämtliche Erinnerungen geweißt an eine fremde Maklerin abzugeben. Mein Kreislauf spielt ein wenig verrückt, ich fühle mich zittrig und atemlos. Vielleicht liegt das daran, dass ich zu spät erst Mittag gegessen habe. Aber es könnte genauso gut meine Psyche sein, die mir signalisiert, dass das gerade zu viel ist. Halbwegs entschlossen trete ich in unseren alten Hausflur, quäle mich bis in das vierte Stockwerk. Die Tür steht schon offen, die Maklerin macht bereits die Bestandsaufnahme. Du springst aus der Tür, suchst nach Werkzeug, um das Schloss der neuen Badtüre anzubringen. Du schaust mich nicht an, sagst kein Grußwort. Ich nehme es hin und trete ein letztes Mal über die Schwelle unserer alten Wohnung. Ich begrüße die Maklerin und sehe mich um. Gehe einmal durch jedes Zimmer. Überall klaffen mir weiße Wände entgegen und ich lasse mich von der plötzlichen Leere überwältigen. In jedem Raum ist so viel passiert, über all war einmal so viel Liebe. Meine Augen beginnen zu brennen und mein Blick verschwimmt. Ich will mich so gerne zusammenreißen, aber ich habe das Gefühl, am Rande einer tiefen Klippe zu stehen und springen zu müssen. In den sicheren Tod. 

Genervt von meiner Emotionalität und meinen dramatischen Gedanken versuche ich mich zu beruhigen. Ich kann doch nicht vor fremden Menschen anfangen zu heulen. Und schon gar nicht vor dir. Du sollst nicht merken, wie weh mir das tut. Ich gehe auf den Dachboden, verstecke mich hinter der Ecke und lasse ein paar Tränen über mein Gesicht kullern. Dann fische ich nach einem Taschentuch in meiner Jackentasche und versuche tief durchzuatmen. „Das Schlimmste ist doch schon geschafft“, rede ich mir ein. Aber mein Herz will das nicht verstehen. Das Loch in meiner Brust pocht immer mehr und ist schwer zu ignorieren. Mein Kopf weiß, dass ich mich ein wenig am Riemen reißen muss. Und so gehe ich mit gläsrigen Augen zurück und versuche auszublenden, dass dies das Ende eines langen Lebensabschnitts ist. Das jetzt wirklich alles vorbei ist.

Als du es schließlich geschafft hast, das Schloss erfolgreich zu montieren, lesen wir noch gemeinsam mit der Maklerin die Zählerstände ab. Du sagst immer noch kein Wort zu mir und ich würde am liebsten laut losschreien. Dann musst du noch mal in den Keller, um der Maklerin zu zeigen, dass auch dort alles leer ist. Ich schaffe es nicht, euch zu folgen. Schwer atmend flüchte ich in den Hof und krame nach meinen Zigaretten. Das ist gerade alles zu viel. Und plötzlich steht ihr neben mir, du unterschreibst das Protokoll und hinterlässt deine neue Adresse, für die Nebenkostenabrechnung aus dem letzten Jahr. Wir übergeben die Schlüssel, meine Hände beben. Ich inhaliere den Rauch und versuche, meine Gedanken und Gefühle zu ignorieren. Ich will diesen Schmerz nicht spüren. Mein Blick ist immer noch leicht verschwommen, aber niemand von euch merkt das. Wie auch. Du hast mir nicht einmal ins Gesicht gesehen. 

Und plötzlich bist du weg. Radelst auf meinen Fahrrad davon in ein neues Leben. Mit zittrigen Lippen schaue ich dir nach. Und in mir stirbt ein Stück. 

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